Nach der Saison ist vor der Saison. Nach diesem Motto hat Bundestrainer Ralf Rombach nach den Erfolgen bei den Paralympics in Peking bereits vor Monaten schon wieder den Blick auf den mit den ersten Weltcup-Rennen Mitte Dezember beginnenden Wettkampfwinter 2022/23 gerichtet.
Die Vorbereitungen auf die Saison 2022/23 haben zwar schon lange begonnen, aber sicher wirken auch bei Dir noch die Erlebnisse der Paralympics in Peking nach. Was sind Deine prägendste Erinnerungen an die Tage in China?
Ralf Rombach: Ich schaue nicht zu sehr zurück, sondern lieber nach vorne. Aber wenn ich nochmal überlege dann waren es die Eindrücke, die nicht direkt mit dem sportlichen Wettbewerb zu tun hatten: Am Flughafen in Peking war ein kompletter Terminal nur für uns abgesperrt. Dabei waren wir bei meiner Einreise nur etwa 20 Leute. Oder die Menschen, die mit dem Besen die Autobahn gefegt haben. Ich dachte bisher, in China ist vieles technologisch durchorganisiert und auf Effizienz getrimmt, aber letztlich scheint doch vieles auch über den Einsatz von unzähligen Arbeitskräften kompensiert zu werden.
Sportlich sind die Spiele aus Sicht der deutschen nordischen Ski-Nationalmannschaft erfolgreich verlaufen. Hattest Du damit gerechnet und wie hat das Trainerteam die Paralympics anschließend im einzelnen analysiert?
Wir sind mit einen ziemlich jungen Team angereist und die Spiele standen für uns im Zeichen eines Generationswechsels. So gesehen waren unsere Erwartungen an Medaillen nicht zu hoch gehängt. Es ist auch so, dass die Medaillenzählerei für mich ein bisschen was von Ignoranz hat, weil es die Leistungen der Mitbewerber anderer Nationen außen vor lässt. Wir waren als Mannschaft sehr gut vorbereitet und die Allermeisten konnten ihre Bestleistung abrufen. Das ist es, was für mich persönlich -als Trainer- den Reiz ausmacht. Allerdings bin ich nicht so naiv um nicht zu wissen, was das Umfeld für Erwartungen hat. Da geht es doch oft um die Anzahl der Medaillen. Damit lebe ich.
Die Umstände direkt vor Beginn der ersten Wettkämpfe waren außergewöhnlich. Durch den Ausschluss zweier Nationen hatten wir plötzlich eine andere Situation. Die bis dahin dominierende Nation war nicht mehr zugelassen. Man darf aber wie gesagt festhalten, dass die Mannschaft ihre Möglichkeiten nahezu voll ausgeschöpft hat. Das betrifft nicht nur die Athletinnen und Athleten, sondern auch das Team der Skitechniker, Trainer und Physios. Auch in der Analyse bin ich sehr zufrieden mit dem Auftritt und der Leistung des gesamten Teams. Natürlich haben wir einige Punkte identifiziert, an denen wir arbeiten können. So bedarf es einer weiteren Leistungssteigerung je nach Athletin und Athlet zwischen 5 und 10 Prozent in den nächsten vier Jahren. Das versuchen wir mit der Trainingsarbeit und der weiteren Optimierung des Materials zu schaffen.
Mit Linn Kazmaier und Leonie Walter haben vor allem zwei sehr junge Athletinnen auf sich aufmerksam gemacht. Wie haben beide nach Deinen Eindrücken ihre doch überraschenden Erfolge verarbeitet und wie bewertest Du ihre Perspektiven für die nächsten Jahre?
Ich denke, beide haben das Ganze sehr gut verkraftet und können das ganze recht gut einschätzen. Beide haben sicherlich gute Perspektiven. Beide sind noch sehr jung, so dass sich ihr Potential in der Ausdauer und der Kraft noch entwickeln kann. Die erwähnte Leistungssteigerung ist möglich.
Siehst Du für die nähere oder weitere Zukunft weitere Talente in Deutschland auf dem Sprung in die internationale Klasse und wie schätzt Du generell die Nachwuchsarbeit ein?
Die Nachwuchsarbeit ist eine der größten Herausforderungen. In Deutschland sind die Aufgaben in dieser Hinsicht klar verteilt. Die so genannte Bund-Ländervereinbarung gibt vor, dass der Bund (und somit der Bundesverband) mit seiner Förderung für die Nationalmannschaft zuständig ist und die Länder über die Landesverbände für die Nachwuchsentwicklung. Der erste Bereich hat sich seit 2018 sehr gut entwickelt. Der zweite Bereich hinkt da noch ein wenig hinterher. Aber in Baden -Württemberg, Bayern und seit kurzem auch in Thüringen sind jetzt Strukturen geschaffen worden, die eine verbesserte Nachwuchsarbeit erhoffen lassen.
Ich wünsche mir, dass in allen Regionen wo nordischer Skisport betrieben wird und die Infrastruktur vorhanden ist, auch nordischer Parasport entwickelt wird. Soweit sind wir aber noch nicht. Dazu kommt, dass Kinder und Jugendliche mit einer körperlichen Behinderung, vor allem wenn sie auf einen Rollstuhl angewiesen sind, zunächst keine Vorstellung haben, dass Skilanglauf für sie möglich ist und welche Steigerung an Lebensqualität darin steckt, wenn man in der Lage ist, durch gesteigerte Fitness selbstständig durch verschneite Landschaften zu gleiten. Dieses Naturerlebnis ist es, was letztlich die Leidenschaft weckt.
Wie läuft in diesem Zusammenhang die Arbeit an den Stützpunkten?
Wir haben mit dem Bundesstützpunkt in Freiburg bisher nur einen Stützpunkt den man als solchen bezeichnen kann. Dort läuft es sehr gut. Alle Beteiligten, vom OSP über den Betreiber der Nordic Arena am Notschrei bis hin zu einzelnen Skivereinen, unterstützen unseren Sport voll und ganz. Da hat sich über die Jahrzehnte hinweg etwas Gutes entwickelt. In den anderen Regionen können wir bisher noch nicht von Stützpunkten sprechen. Dort sind es aktuell viele Einzellösungen, da es an der entsprechenden Zahl an Athleten fehlt.
Mit dem Rücktritt von Clara Klug wegen ihrer offen kommunizierten Depression und des von ihr empfundenen Leistungsdrucks wird im aktuellen Weltcup-Kader eine erfolgreiche Athletin fehlen. Welche Konsequenzen sollte ihre Entscheidung aus Deiner Sicht haben?
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass in den letzten Jahren der Umgang mit Druckempfinden unnatürlich geworden ist, nach dem Motto ‚verlieren ist verboten‘. Das liegt meiner Meinung nach auch an den vielen zum großen Teil unrealistischen Darstellungen einzelner Personen im Netz. Viele sind darauf bedacht perfekt zu sein. Im Para-Sport benötigen wir daher eine frühzeitige Begleitung der Athletinnen und Athleten im Umgang mit Leistungserbringung, sobald sie in das System Leistungssport einsteigen.
Para-Athlet*innen haben in mehrerer Hinsicht besonders herausfordernde Bedingungen im Alltag: Im Jugendlichenalter, wenn die Wahrnehmung der eigenen körperlichen Umstände zunimmt und im jungen Erwachsenenalter, wenn die Athlet*innen versuchen ein selbständiges Leben aufzubauen, benötigen sie gezielte und auch über den Sport hinausgehende Begleitung. Dieses Thema ist eine besondere Herausforderung im Para-Sport. Die Tatsache, dass die Sportförderung am Ende des Tages an den sportlichen Erfolgen der Sportler*innen festgemacht wird, macht die Sache natürlich auch nicht leichter und ist Teil des Ganzen. Wir leben auch nicht in einer abgeschotteten Blase und der Umgang mit zum Teil aktuell überzogenen Erwartungen von außen erschwert für manche zusätzlich den Umgang mit Leistungserbringung. Die stärkere mediale Präsenz, die im Para-Sport oft auf wenigen Schultern verteilt ist, bringt manche AthletInnen in Zugzwang.
Als Konsequenz aus dieser gewonnenen Erkenntnis haben wir seit knapp zwei Jahren eine Psychologin mit im System, die AthletInnen in diesem Thema auf Wunsch begleitet und unterstützt. Ich hoffe, wir können aus dem Sport heraus einen Beitrag leisten, so dass das positive Erlebnis im Vordergrund steht.
Von Schnee war bisher in Deutschland und den umliegenden Ländern Wie hat sich bisher die Vorbereitung auf den kommenden Wettkampf-Winter gestaltet?
Wir arbeiten den Sommer über hauptsächlich mit dem Trainingsmittel Skiroller und alternativen Trainingsmitteln wie Rad/Handbike oder zu Fuß bzw. mit dem Rennrollstuhl. Der nordische Skisport ist in dieser Hinsicht sehr abwechslungsreich. Der Schnee kommt bei uns ab Anfang November ins Spiel. Da bereiten wir uns traditionell in Livigno vor. Zuvor verbringen wir einige Tage in der Skihalle in Oberhof, wo wir unsere DM abhalten.
Wie waren die Verhältnisse im Trainingslager in Livigno?
Die Bedingungen waren überschaubar. Der Ort lebt von den Skimannschaften die sich im Spätherbst auf die Wintersaison vorbereiten. Daher arbeiten sie dort mit Schnee, der den Sommer über gelagert und dann im November ausgebracht wird. In den vergangenen Jahren kamen immer rechtzeitig Neuschneemengen dazu. In diesem Jahr sorgte eine kontinuierliche Südwetterlage für zu warmes und trockenes Wetter. Daher blieb es bei einer eher kürzeren Runde. Die Mannschaft arbeitete aber sehr professionell und konnte damit gut umgehen.
Welche sportlichen Ziele sind für die im Dezember beginnenden Saison 2022/23 mit dem Höhepunkt der WM in Schweden formuliert?
Bestform bei der WM!
Du warst ebenso wie der DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher ein Befürworter des Ausschlusses der Mannschaften aus Russland und Belarus von den Paralympics nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine. Wie ist der aktuelle Stand hinsichtlich der Sportler(innen) aus diesen Ländern vor dem Beginn der Weltcup-Saison?
Ich persönlich habe keinen kompletten Überblick. Ich bin auch nicht auf Social Media unterwegs, wo manche SportlerInnen aus Russland ab und zu wohl etwas posten. Ich habe aber mitbekommen, dass in Russland und wohl zum Teil auch in Belarus die Athlet*innen weiterhin ein professionelles Umfeld genießen, sie voll gefördert werden und auch parallel zum WC/WM Wettkämpfe organisiert werden.
Wie bewertest du den Wechsel der Zuständigkeit bei der Organisation der Weltcups vom IPC zur FIS mit dem neuen Renndirektor Georg Zipfel?
Grundsätzlich positiv. Mit Georg haben wir einen äußerst erfahrenen Renndirektor aus der FIS. Jetzt geht es darum beide Systeme kompatibel zu machen. Insgesamt glaube ich überwiegen die Vorteile.
Durch die vom Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiekrise sind auf allen Ebenen Sparmaßnahmen nötig. Treffen diese auch konkret die Planungen der nordischen Ski-Nationalmannschaft?
Aktuell kommen wir noch klar.
Der Wintersport generell ist mittlerweile durch den immer deutlicher werdenden Klimawandel in den Bergen in die Diskussion geraten. Wie siehst Du dabei die Zukunft besonders der paralympischen Wintersport-Disziplinen?
Ich mag den unseren Sport sehr und sehe den Vorteil von Leistungssport für Menschen mit Behinderung, der über das Streben nach Medaillen hinausgeht. Ein Kraftausdauersport wie Langlauf ist sehr gut geeignet um die Persönlichkeit, die eigene körperliche Fitness und die Selbstkompetenz in Ganzen zu verbessern. Wenn es auf Schnee geht, umso besser. Aber auch die Möglichkeiten im Sommer durch die entsprechTrainingsmittel wie Skiroller sind sehr gut geeignet. Daher sehe ich auch sehr gute Möglichkeiten als Ganzjahressport aufzutreten.
Wie geht es mit Dir persönlich weiter. Läuft Dein Trainer-Vertrag mit dem DBS bis zu den nächsten Winter-Paralympics 2026 in Italien?
Bei mir stehen die nächsten Paralympics 2026 als Ziel vor Augen. Darüber hinaus versuche ich für den DBS den Standort Freiburg als sportartübergreifenden Ausdauerstützpunkt für Para-Sport zu entwickeln. Aktuell neben dem Para-Ski Nordisch für Para-Cycling, Para-Leichtathletik und langfristig auch weitere Para-Sportarten. Themen wie Talenttransfer und das Betreiben von zwei Sportarten (Sommer/Winter), sowie die wissenschaftliche Begleitung zum Thema Ausdauer im Para-Sport und Klassifizierung spielen dabei eine Rolle. Hierfür wird es ab nächstem Jahr aber personelle Unterstützung geben.
Welche Wünsche zur Unterstützung des Teams würdest Du aktuell formulieren?
Dass wir bundesweit etwas breiter aufgestellt werden und in den geeigneten (Winter-)Regionen Para-Ski nordisch gemeinsam mit den Strukturen des DSV mitentwickelt wird. Wir haben nach dem Karriereende von Martin Fleig aktuell bei den Schlittenklassen Aufholbedarf.
Und wie kann die Stiftung unterstützend tätig werden?
Nach wie vor bei der Verbesserung der Nachwuchsarbeit, in der Öffentlichkeitsarbeit, und Unterstützung bei der Beschaffung von Material (Schlitten). Gerade beim Material wurde in der Vergangenheit bereits einiges getan, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte.